TITEL-THEMA

Zukunftserfahrene Prozessleittechnik 

Der Siemens-Ansatz in der Automatisierung

Mit Simatic PCS neo hat Siemens ein vollständig webbasiertes Prozessleitsystem auf den Markt gebracht, das völlig neue Perspektiven in Engineering, globaler Zusammenarbeit und dem Anlagenbetrieb bietet. Doch was bedeutet diese Neuentwicklung für Kunden des etablierten Prozessleitsystems Simatic PCS 7?

Mit Simatic PCS neo hat Siemens ein vollständig webbasiertes Prozessleitsystem auf den Markt gebracht, das völlig neue Perspektiven in Engineering, globaler Zusammenarbeit und dem Anlagenbetrieb bietet. Doch was bedeutet diese Neuentwicklung für Kunden des etablierten Prozessleitsystems Simatic PCS 7? Welche Ideen hinsichtlich Investitions- und Know-how-Schutz hat der Konzern? Diese und weitere Fragen hat PROZESSTECHNIK mit dem Leiter des Siemens Business Segments Automation and Engineering Systems – Dr. Hartmut Klocker und dem Produktmanagement- und Marketingleiter in den USA – Douglas Ortiz, diskutiert.


Interviewpartner:

Dr. Hartmut Klocker
Leiter des Siemens Business Segments Automation
and Engineering Systems

Douglas Ortiz
Leiter Produktmanagement und Marketing für Prozessleittechnik bei Siemens USA

 PROZESSTECHNIK:   Vor zwei Jahren kam Simatic PCS neo auf den Markt. Warum war es so wichtig, möglichst frühzeitig und genau darüber zu informieren, wo die Möglichkeiten und Stärken von Simatic PCS neo liegen werden?

Dr. Klocker: Für uns war und ist es enorm wichtig, unseren Kunden eine tragfähige Perspektive zu geben. Unsere zukunftssichere Strategie wollen wir absolut transparent für sie darstellen. Jeder Simatic PCS 7-Kunde weiß die Vorteile des Systems zu schätzen und wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, unsere Kunden so frühzeitig wie möglich darüber zu informieren, welche Vorzüge Simatic PCS neo ihnen bieten wird und wie sich der Weg dahin sehr effizient gestalten lässt. Soweit mir bewusst, ist das im Leittechnikmarkt einzigartig. Und weil wir diese Informationen sehr zeitig und umfassend zur Verfügung stellen, konnten wir auch ganz früh die ersten intensiven Gespräche mit unseren Kunden führen, sie abholen, einbinden und begeistern. Im Grunde machen wir das auch heute noch so.

Ortiz: Ein Leitsystem ist nicht vergleichbar mit irgendeinem Consumer-Produkt. Eine neue Smartphone-Generation führt mitunter zu Begeisterungsstürmen. Bei – sagen wir: Einer neuen Version eines Betriebssystems kommt das schon eher selten vor, und wenn wir an Prozessleitsysteme denken, steht für unsere Kunden die Sicherheit über allem: Investitionssicherheit, Betriebssicherheit, gesicherte und unterbrechungsfreie Produktion usw.


 PROZESSTECHNIK:  Was bedeutet die Markteinführung von Simatic PCS neo denn nun konkret für Betreiber, deren Anlagen mit Simatic PCS 7 ausgestattet sind?

Ortiz: Bleiben wir dazu kurz beim genannten Beispiel: Anlagenlaufzeiten bewegen sich auf dem Niveau von Menschengenerationen, also 30-40 Jahren und haben nichts mit der jährlichen Vorstellung eines neuen Smartphone-Modells zu tun. Das ist der Grund, warum wir die Zukunftssicherheit immer wieder betonen sowie die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit unseres Ansatzes.

Dr. Klocker: Und genau deswegen kann ich Ihre Frage in zwei Worten beantworten: Für Simatic PCS 7 und unsere Kunden heißt das: Keine Änderungen. Wir entwickeln Simatic PCS 7 weiter und werden dies auch weiterhin tun.


 PROZESSTECHNIK:  Können Sie das konkretisieren?

Dr. Klocker: Sehr gerne. Gerade haben wir die Simatic PCS 7 Version 9.1 freigegeben. Wir gehen damit den nächsten Schritt hin zu mehr Skalierbarkeit, Verfügbarkeit und Sicherheit in der Prozessautomatisierung! Dies beinhaltet auch Erweiterungen im Bereich des Peripheriespektrums – gehärtet für die Anwendungsfälle der Prozessindustrie mit Redundanz, erweitertem Temperaturbereich, sowie Explosionsschutz und Fehlersicherheit.  Das technologische Engineering von Prozessablaufsteuerungen wird noch umfassender und intuitiver. Proaktives Lifecycle-Management sorgt für eine stets aktuelle Prozessleittechnik mit Hardware, Software und Firmware und unterstützt unsere Kunden mit Funktionen zur Systemanalyse unter anderem bei dem essenziellen Thema Cybersecurity.

Ortiz: Neben diesem sowie weiteren – heute bereits konkret – geplanten Entwicklungsschritten demonstrieren unsere Kunden selbst, wie groß das Vertrauen in unsere zukunftssicheren Konzepte ist. So setzt BioNTech für die neue COVID-19-Impfstoffproduktion in Marburg, Deutschland, die neueste Simatic PCS 7-Technologie ein und hat damit eine sichere Investition für die nächsten 20-30 Jahre getätigt.


 PROZESSTECHNIK:   Auch wenn Simatic PCS 7 offensichtlich noch lange weiterentwickelt wird, auf welche Strategien zum Umstieg auf Simatic PCS neo können Anwender von Simatic PCS 7 heute schon bauen?

Dr. Klocker: Bevor Herr Ortiz hierzu ein paar technische Details nennt, würde ich gerne zwei Beispiele anführen, die den strategischen Ansatz von Siemens verdeutlichen. Wir haben bereits vor zehn Jahren mit der Version 8.2 von Simatic PCS 7 eine komplett erneuerte Softwarearchitektur fürs Engineering eingeführt. Seitdem setzen wir konsequent auf Control Module Types (CMT) und unsere Prozessbibliothek, die Advanced Process Library (APL). Diese Standards, die im Übrigen ihrerseits auf internationalen, allgemeingültigen Standards basieren, kommen auch bei Simatic PCS neo zum Einsatz. Doch damit nicht genug: Beide Systeme verwenden nicht nur dieselbe Applikationsarchitektur, sondern sie setzen auch auf derselben PROFINET-basierten Simatic-Hardware-Plattform auf, die wir 2017 vorgestellt haben und seitdem konsequent weiter ausbauen. Konkret bedeutet das: Hardware, die Kunden momentan mit Simatic PCS 7 nutzen, kann heute, morgen und später mit Simatic PCS neo kombiniert werden. Damit schützen wir nicht nur die Investitionen unserer Kunden, sondern auch ihr Know-how durch Wieder- bzw. Weiterverwendung von Engineeringwissen und Hardware.

Ortiz: Ich denke, unsere bestehenden Kunden wissen es sehr zu schätzen, wenn sie hören, dass niemand aus Simatic PCS 7 „rausgedrängt“ wird und dass alle Vorteile, von denen sie durch Einsatz der bewährten Simatic PCS 7-Engineering-Prinzipien wie z. B. der erweiterten Prozessbibliothek und der Control Module Types profitiert haben, auch weiterhin gelten werden. Um nun auf Ihre Frage nach Migrationsstrategien zurückzukehren: In die von Dr. Klocker umrissene zukunftssichere Strategie betten wir unsere Ansätze für Einstiegs- und Umstiegsszenarien ein. Wir arbeiten an maßgeschneiderten Lösungen für alle möglichen Anwendungen, egal ob es sich um Simatic PCS 7-Kunden mit neuen Teilprojekten handelt, die mit Simatic PCS neo gesteuert werden, um bestehende Simatic PCS 7-Installationen, die vollständig auf Simatic PCS neo umgestellt werden sollen, oder um Neukunden, die mit unserem webbasierten Leitsystem ihre leittechnische Herausforderung komplett meistern wollen. Siemens wird in jedem individuellen Fall in der Lage sein, den Kunden dabei zu unterstützen, seine Leittechnik zum von ihm gewünschten und für ihn bestmöglichen Zeitpunkt auf Simatic PCS neo zu bringen. 

Dr. Klocker: Darüber hinaus bieten wir neben technischen Strategien auch eine kommerzielle Vorgehensweise an, die über einen Simatic PCS 7-Lifecycle-Vertrag für eine sorgenfreie Zukunft sorgt. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht und Methoden entwickelt, um einen Systembruch für unsere Kunden unter allen Umständen auszuschließen. Wir sind ebenso wie unsere Anwender bestrebt, den Übergang zum Wunschzeitpunkt so reibungslos wie möglich zu gestalten.


 PROZESSTECHNIK:   Wie steht es um die aktuellen Fähigkeiten von Simatic PCS neo? 
Vor allem im Vergleich zu denen, die Simatic PCS 7 bereits besitzt.

Ortiz: Mittlerweile habe ich einige Simatic PCS neo-Projekte begleiten dürfen. Vor allem in der chemischen Industrie und in der Wasserwirtschaft wächst die Anzahl sehr schnell. Ich spüre beispielsweise viel Begeisterung beim globalen Multi-User-Engineering von Simatic PCS neo und dem Zero-Installation-Client. Daraus leiten Anwender sofort Nutzen ab: Globale Zusammenarbeit beim Engineering – auch vom Homeoffice aus – ist intuitiv und dank unseres Sessionkonzepts sicher möglich. Der alleinige Einsatz eines Browsers als sicherer Zugang zum Prozess, zum Engineering oder der Administration wird einerseits als radikal anders und innovativ bestaunt und gleichzeitig als vollkommen natürlich und gewohnt wahrgenommen. 

Dr. Klocker: Simatic PCS 7 ist nun seit über 20 Jahren auf dem Markt. Das System ist in Tausenden Installationen im Einsatz und bewährt sich Tag für Tag weltweit. Für Simatic PCS neo setzen wir bewusst auf eine transparente Evolution: Noch deckt das System nicht den Funktionsumfang von Simatic PCS 7 ab. Das ist aber für unsere Kunden, die sich heute schon mit der nächsten Generation Leitsystem vertraut machen wollen, gar nicht so wichtig. Unsere Bestandskunden setzen es in den Bereichen ein, wo es sinnvoll ist. Sie fangen zumeist klein an und sie geben wertvolles Feedback. Damit lernen wir tagtäglich dazu, was uns zu offener Kommunikation und wieder zu eingangs erwähnter Transparenz führt. 

Ortiz: Über den fortdauernden transparenten Entwicklungsprozess bringen wir für Simatic PCS neo laufend neue Versionen und Upgrades auf den Markt, um kontinuierlich mehr Funktionalität bereitzustellen. Zusätzlich finden wir gezielt Applikationen, in denen Simatic PCS neo bereits passt, sei es in der Chemie, im Wasserbereich oder in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie.

Dr. Klocker: Wir sind der Meinung, jetzt ist für alle in der Prozessindustrie ein guter Zeitpunkt, um Erfahrungen mit Simatic PCS neo zu sammeln. Parallel dazu können Anwender mit der Einführung der neuen Funktionalitäten ihre eigene Strategie zur Implementierung erarbeiten – gerne mit unserer Hilfe! Als Geschäftseinheit Prozessautomatisierung haben wir die volle Kontrolle über unsere Entwicklungen: von der Hardware bis hin zur Software-Wertschöpfungskette. Also vom Controller über die Automatisierung bis hin zur Simulation. Gebündelt in Karlsruhe sowie weltweit über unsere Tochtergesellschaften und Kompetenzzentren.


 PROZESSTECHNIK:   Das klingt sehr leidenschaftlich! Wie können Interessierte diese Leidenschaft für Prozessleittechnik ebenfalls erleben?

Dr. Klocker: Allein in Karlsruhe haben wir Tausende von Mitarbeitern, von denen weit über die Hälfte ausschließlich in der Prozessautomatisierung arbeiten. Man spürt den Gleichklang des Teams. Die Kollegen sind stets bestrebt herauszufinden, wo sie noch besser werden können. Sei es bei einzelnen Produkten, den Systemen oder bei den Arbeitsabläufen. Deshalb laden wir alle Interessierten gerne ein, nach Karlsruhe in die Process Automation World zu kommen und sich selbst ein Bild davon zu machen, wie wir Prozessautomatisierung leben. Mir ist bewusst, dass das zurzeit noch nicht uneingeschränkt möglich ist. Also ermöglichen wir es für den Moment einfach virtuell und zeigen dabei gerne, was wir können und wie wir durch die Integration von Engineering, Simulation und Automatisierung den digitalen Zwilling schaffen!

Herr Dr. Klocker, Herr Ortiz, wir danken Ihnen für dieses Interview!