PROZESSAUTOMATISIERUNG & DIGITALISIERUNG

 Der Digitale Zwilling ist der erster Schritt 

Industrial Metaverse

Immer mehr Industrieunternehmen agieren mit dem Digitalen Zwilling bereits effizienter und verknüpfen ihn mit Extended Reality (XR)-Anwendungen. Im Industrial Metaverse können sie künftig in einer immersiven Umgebung miteinander und mit ihren Anlagen interagieren.

2023 befinden wir uns in einer Zeit des Wandels. Energiekrise, Inflation und politische Unruhen sorgen für volatile Märkte. Gleichzeitig müssen Industrieunternehmen ihre CO2-Emissionen drastisch reduzieren, damit sie die anspruchsvollen Ziele des Pariser Abkommens erfüllen können. Sie diversifizieren ihre Energieportfolios, veräußern emissionsintensive Geschäftsbereiche und setzen auf erneuerbare Energien. Führungskräfte industrieller Unternehmen stehen gerade weltweit vor der Aufgabe, mit Hochdruck Nachhaltigkeitsstrategien aufzusetzen. Die Herausforderung: Diese sollen sowohl künftige Investitionen als auch bestehende Gewinnziele gleichermaßen berücksichtigen. Gegenüber ihren Wettbewerbern können sich die Unternehmen einen strategischen Vorteil verschaffen, die ihre Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsstrategie verknüpfen. Denn digitalisierte Strukturen ermöglichen einen umfassenden Einblick in Produktionsprozesse und administrative Abläufe. In der Konsequenz erhalten Mitarbeitende aus allen Ebenen dadurch die Chance, einzelne Arbeitsschritte, aber auch ganze Prozesse energiebewusster zu gestalten.

Digitaler Zwilling als Herzstück der industriellen Digitalisierung

Im Kern einer ausgereiften Digitalisierungsstrategie befindet sich der Digitale Zwilling – ein virtuelles Abbild einer realen physischen Anlage, das auf vernetzten Datenströmen beruht. Es führt Echtzeit-Datenquellen, Modelle und Analysen aus dem gesamten Anlagenlebenszyklus auf einer einzigen virtuellen Plattform zusammen. Dadurch können Unternehmen ihre Abläufe insgesamt effizienter strukturieren, in dem sie ihre Produktion und Dienstleistungen optimieren und Ressourcen einsparen.

Der staatliche Energieversorger Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) steuert seine industriellen Abläufe über eine Plattform, die vollständig integrierte Echtzeit-Daten visualisiert. Anhand dieser kann das Management strategische Entscheidungen treffen. Mit dem Digitalen Zwilling konnte ADNOC seine Prozesse gezielt optimieren und bereits über 60 Millionen US-Dollar einsparen.  

Darüber hinaus können Unternehmen weitere virtuelle Anwendungen auf dem Digitalen Zwilling einer Anlage aufbauen. Mit Extended Reality (XR)-Software absolvieren neue, aber auch erfahrene Mitarbeitende Schulungen zu den Abläufen und Sicherheitsmaßnahmen innerhalb von Anlagen. XR-Software integriert sowohl Augmented Reality (AR) als auch Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR) und schafft damit eine immersive, dreidimensionale Trainingsumgebung. In der gleichermaßen dynamischen wie sensiblen Chemie- und Erdgasindustrie müssen Mitarbeitende bestmöglich ausgebildet und fortwährend auf dem aktuellen Stand der technischen Anforderungen bleiben. Daher nutzt das britische Mineralöl- und Erdgasunternehmen Shell XR-Trainings, um Anwender:innen mit Blick auf eine sichere und nachhaltige Produktion zu schulen.

Dabei legt das Unternehmen besonderen Wert darauf, dass seine Mitarbeitenden sich über die Auswirkungen ihres Handelns und den Wert von (Arbeits-)Schutzmaßnahmen bewusst sind. Die cloudbasierten XR-Schulungen kommen ortsunabhängig zum Einsatz und bieten basierend auf dem Digitalen Zwilling ein Live-Abbild der Anlagen. Diese Art des Trainings ist sowohl kosten- als auch energieeffizient: Es bedarf keiner zusätzlichen Anlagen oder Reisen zum Trainingsort. Anhand ausführlicher Szenarien können Anwender:innen diese zunächst virtuell kennenlernen und nachvollziehen, wie sich unterschiedliche Entscheidungen auf den Betrieb auswirken. Außergewöhnliche Situationen sowie entsprechende Quizfragen stellen sicher, dass sie optimal auf ihren herausfordernden Arbeitsalltag vorbereitet sind. Mit XR setzt Shell eine Form der Schulung um, die weltweit standardisiert verfügbar ist und gleichzeitig standortspezifische Anpassungen erlaubt.

Was das Metaverse für die Industrie bedeutet

Die Industrie macht bereits von wirkungsvollen Technologien wie dem Digitalen Zwilling und XR Gebrauch, um effizienter und sicherer zu produzieren. Ein industrielles Metaverse erlaubt ihr nun branchenübergreifend den nächsten Schritt zu einem wahrhaft digitalisierten Arbeiten. Bislang verbinden viele Menschen den Begriff Metaverse vorrangig mit einer Welt für Konsum und private soziale Kontakte. Doch auch die Industrie profitiert von einer immersiven, vernetzten Umgebung. Das Industrial Metaverse basiert auf dem Digitalen Zwilling und integriert Anwendungen wie XR. Zudem nutzt es mit künstlicher Intelligenz angereicherte Daten und schafft ein geräteübergreifend nahtloses Erlebnis dank 5G und WiFi. Durch diese Elemente legt sich das Metaverse als weitere Ebene über die vorhandenen Strukturen eines Unternehmens. 

Als beständige virtuelle Umgebung ermöglicht es dank aktueller technischer Daten eine Zusammenarbeit in Echtzeit zwischen den Teams. Alle Mitarbeitenden können im Metaverse rollenabhängig auf Echtzeit-Betriebsdaten sowie -Abläufe zugreifen und sich austauschen. Damit sie an der immersiven Arbeitsumgebung teilnehmen können, benötigen sie keine VR- oder AR-Ausrüstung oder spezielle Endgeräte. Über ihren Laptop, ihr Tablet oder Smartphone stehen ihnen die 3D-Betriebsumgebung und SCADA-Live-Daten zur Verfügung. Im Industrial Metaverse nutzen Unternehmen also eine virtuelle Live-Abbildung realer Lieferketten und Anlagen, die Mitarbeitende überprüfen, diskutieren und verwalten können – alles auf Basis des Digitalen Zwillings. 

Positive Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsziele und Zusammenarbeit 

Das Industrial Metaverse bietet eine kollaborative Arbeitsumgebung, in der Informationen zu einem Unternehmen und dessen Lieferketten verfügbar sind. Das wirkt sich positiv auf dessen Nachhaltigkeitsziele aus: Das kollaborative Arbeiten im Metaverse verringert CO2-Emissionen durch nun obsolete Geschäftsreisen. Zudem trägt es zu schnellen, ressourcenschonenden Entscheidungen bei und erhöht die (Arbeits-)Sicherheit in den Anlagen. Wagen Unternehmen den Schritt ins Metaverse, bieten sich ihnen vielfältige Gelegenheiten für die innovative Industrie von morgen. Dazu zählen sowohl nachhaltigere Konstruktionen als auch mehr automatisierte Anlagen. 

Industrieunternehmen profitieren im Metaverse von einer global vernetzten, sicheren Zusammenarbeit zwischen Kolleg:innen sowie externen Partnern. Im Industrial Metaverse können Mitarbeitende aus verschiedenen Fachbereichen und Hierarchiestufen auf die Informationen des Digitalen Zwilling zugreifen und damit virtuell arbeiten. Gleichzeitig berücksichtigt das Metaverse notwendige Zugriffsrechte und kann den Wert der vorhandenen Informationen erhöhen. Teams können in der virtuellen Umgebung sowohl mit den realen Anlagen als auch untereinander auf eine Art interagieren, die dem persönlichen Austausch stark ähnelt. Der Digitale Zwilling fokussiert letztendlich den Abgleich, die Bereinigung und die Aufbereitung von Datenströmen. Im Kontext des Industrial Metaverse verbindet er jedoch das wichtigste Gut jedes Unternehmens: seine Mitarbeitenden.

Autor


Simon Bennett

Global Head of Research bei AVEVA