ARMATUREN & LEITUNGEN



Der (Strom-)Kreis schließt sich

Elektrifizierung in der Ventiltechnologie

Die Gründe für die Verwendung elektrischer Ventile sind ebenso unterschiedlich wie vielfältig: Reduzierung der Energiekosten und der Geräuschbelastung, mobile Anlagen oder Kleinanlagen ohne Druckluftversorgung, hohe Regelperformance, Digitalisierung, flexible Funktionen, Parametriermöglichkeiten, Diagnosemöglichkeiten – dies sind nur einige der Gründe für den Einsatz elektrischer Ventile.

Oft unterschätzt werden jedoch die Möglichkeiten, die elektrische Ventile bieten, um Risiken zu reduzieren und die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen. Zum einen reduzieren diese das Risiko potenzieller Kontamination durch Druckluft in kritischen Anwendungen, wie in Reinräumen oder Isolatoren. In diesen Anwendungen wird durch aufwändige und kostenintensive Druckluftaufbereitung, Abführung der Abluft und weiteren Maßnahmen versucht, das Restrisiko möglichst zu reduzieren.

 

Warum jedoch mit einem Restrisiko leben, wenn es alternative Lösungsmöglichkeiten gibt?

Zum anderen reduzieren elektrische Ventile das Risiko des Ausfalls und der Fehlfunktionen durch Druckluft. Oft sind es banale Ursachen wie verschmutzte Druckluftleitungen bei der Inbetriebnahme   Wartungseinheiten, die weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. „Verschmutzungen“ im Druckluftsystem führen oft zu wartungsintensiven oder sogar irreparablen Schäden von beispielsweise Vorsteuerventilen, Ventilanschaltungen oder Reglern. Die Folgen sind hohe Wartungskosten und eine sinkende Anlagenverfügbarkeit.

Auch das Thema Sicherheitsstellung lässt sich in Verbindung mit elektrischen Ventilen smarter lösen. Auf den ersten Blick ein klarer Vorteil der Pneumatikventile. Sie fahren durch die eingebauten Federn bei Druckluftausfall in eine definierte Position und haben somit die Sicherheitsstellung eingebaut.

 

Was passiert beim Wiederanfahren der Anlage?

In diesem Zustand ist der Aufwand entsprechend höher, Druckschläge zu vermeiden und definierte Druckzustände herzustellen, um die Anlage wieder sicher in einen definierten Zustand zu bringen. Notstromlösungen (unterbrechungsfreie Spannungsversorgungen, kurz: USV) bieten sowohl beim Herunterfahren als auch beim Wiederhochfahren der Anlage den Vorteil klar definierbarer Anlagenzustände – nicht nur für die elektrischen Ventile, sondern auch für die Automatisierungskomponenten und die Sensorik. GEMÜ bietet diesbezüglich für alle elektrischen Ventile Notstromlösungen an.

Allein diese Argumente zeigen, „DAS EINE“ Argument pro elektrisch gibt es nicht. Vielmehr gibt es je nach Branchen und Anwendungen unterschiedlichste Ansätze, die oft in Kombination die Entscheidung pro elektrisch beeinflussen. Die entscheidende Komponente in der Prozesstechnik stellt jedoch zu allererst das eigentliche Prozessventil dar. Für die diversen Prozessanforderungen gibt es unterschiedlichste Ventiltechnologien, wie Membranventile, Sitzventile, PD-Ventile, Schlauchquetschventile, Füllventile, Klappen oder Kugelhähne.

Reden wir über „Elektrifizierung“, bleiben die „Prozessanforderungen“ natürlich als „Basis“ bestehen. Das A und O ist somit, die bewährten Ventiltechnologien übergreifend elektrifiziert anbieten zu können. Das heißt, die jeweils ideale Ventiltechnologie kann mit der jeweilig idealen Antriebstechnologie kombiniert werden (best of both worlds).

  

Membranventile, Sitzventile, PD-Ventile, Schlauchquetschventile

Die elektromotorischen eSy-Baureihen von GEMÜ bilden die Basis der elektrischen Linearventile. Mit der Erweiterung der eSyLite Baureihe auf Metall-Membranventile und Sitzventile sind die Baureihen eSyLite (Basic Antrieb), eSyStep (Universal Antrieb) und eSyDrive (Premium Antrieb) übergreifend mit den bewährten Ventiltechnologien Membranventil, Sitzventil, PD und Schlauchquetschventil im Baukastensystem kombinierbar.

Die modulare Antriebsvielfalt gewährleistet von den einfachsten Auf/Zu-Anwendungen bis zu hochgenauen Regelanwendungen immer ein passendes Performance- und Kostenverhältnis.

Alle drei eSy-Baureihen setzten neue Maßstäbe in Bezug auf Motortechnologien, kompakte Bauweise, Geschwindigkeit sowie Funktionalität und müssen weder dem Vergleich mit anderen auf dem Markt befindlichen Baureihen elektrischer Ventile noch den Vergleich mit Pneumatikventilen scheuen.


Füllventile

Darf es noch etwas schneller sein?

Die elektromotorische Ventilbaureihe GEMÜ F60 servoDrive kombiniert die neue Füllventilplattform auf Basis der PD-Technologie mit einem kompromisslosen High-Performance Antrieb und setzt damit neue Maßstäbe in Sachen Geschwindigkeit und Präzision in Abfüll- und Regelanwendungen.

Technische Angaben wie Schutzklasse IP69K, bis zu 200mm/s oder auch Abfüllgenauigkeiten von ±0,5% bei einem Abfüllgewicht von 1g  zeigen, dass wir in diesem Fall nicht nur von einem neuen Ventil, sondern von ganz neuen Möglichkeiten sowohl in der Abfüllung von Pharmaprodukten als auch bei Applikationen in der Lebensmittel-, Batterie- und Chemikalienabfüllung sprechen.

 

Magnetventile

Neue Maßstäbe setzt das Unternehmen auch mit der neuen Magnetventilbaureihe GEMÜ M75. Sie ermöglicht durch ein neuartiges, innovatives druckkompensiertes Faltenbalgsystem durchgängig Betriebsdrücke von bis zu 6 bar in Verbindung mit einer sehr kompakten Bauweise.

Aufgrund der verfügbaren Körpermaterialien PVC, PP und PVDF ist GEMÜ M75 für diverse aggressive Prozessmedien einsetzbar. Ein optional nachrüstbarer Stellungsrückmelder bietet zusätzlich die Möglichkeit, das Magnetventil in das Automatisierungssystem der Prozessanlage einzubinden.

 

Kugelhähne, Absperrklappen

Im Bereich der elektrifizierten Schwenkarmaturen ist nahezu alles möglich. Bedingt durch Normschnittstellen bietet GEMÜ mit den Baureihen GEMÜ 9428, GEMÜ AQ, GEMÜ BC und GEMÜ J4C pure Flexibilität. Von Standardantrieben für Indoor- über Outdoor-Anwendungen bis zu Extrembedingungen wie in den Bereichen Marine, Tief- und Hochtemperatur.

Selbst Zulassungen wie ATEX oder SIL sind problemlos möglich. Das Konzept modularer Antriebsvielfalt von einfachen, günstigen Auf/Zu-Antrieben bis hin zu komplexen Regelantrieben ist somit analog zu den Linearventilen auch bei den Schwenkarmaturen gewährleistet. In Zusammenarbeit mit namhaften Partnern ist GEMÜ in der Lage auf jeden Kundenwunsch flexibel einzugehen.

Die aufgeführte Varianz zeigt, welche vielfältigen Möglichkeiten GEMÜ durch eine Plattformstrategie in Verbindung mit dem bewährten GEMÜ Baukastensystem bei elektrischen Ventilen bietet.

Ist hybrid die Lösung?

Was sind eigentlich Hybridanlagen?

Generell versteht man im technischen Bereich unter Hybrid die Kombination zweier Technologien. Prinzipiell sind heute schon viele Anlagen, die bisher ausschließlich Pneumatikventile verwenden bereits Hybridanlagen. Durch den steigenden Automatisierungsgrad der Anlagen sind elektrische Zusatzkomponenten wie Stellungsrückmelder, Ventilanschaltungen oder Regler, fester elektrischer Bestandteil vieler aktueller Anlagengenerationen. Somit kommt in den Anlagen meist sowohl Pneumatik (Ventile) als auch Elektrik (Zusatzkomponenten, Automatisierungskomponenten) zum Einsatz.

Hybridanlagen, die pneumatische und elektrische Ventile kombinieren, sind aufgrund der bestehenden elektrischen Automatisierungsinfrastruktur daher der logische erste Schritt in Bezug auf Elektrifizierung der Anlagen und bieten den Charme, je nach Anlagenteil, die Vorteile der jeweiligen Antriebstechnologie zu kombinieren.

Warum nicht in einem nächsten Schritt zum Beispiel elektropneumatische Regelventile durch rein elektrische Regelventile ersetzen, welche die bestehende Automatisierungstechnik und Infrastruktur nutzen können und einen klaren Mehrwert durch höhere Regelgenauigkeit bieten? Dieser Schritt erfordert meist keine oder nur sehr geringe Konzeptionsänderungen der bestehenden Anlagengenerationen und stellt somit eine gute Upgrade-Möglichkeit der bestehenden Anlagengenerationen im Hinblick auf punktuelle Problemlösung, Performance-Erhöhung und vieles mehr dar.

Hybridanlagen haben jedoch auch Nachteile. Hybrid bedeutet immer, dass zwei Energieformen (Pneumatik und Elektrik) mit allen Konsequenzen vorgehalten werden müssen. Jedes Energienetz bedeutet Aufwand bei Installation, Peripherie, Wartung, Fachpersonal, Fehlerquellen sowie Ausfallrisiko. Die Verwendung lediglich einer Energieform (rein elektrisch) reduziert diese Risiken jedoch wesentlich.

Warum also nicht rein elektrisch?

Viele Anlagen würden rein elektrisch einen Mehrwert mit sich bringen und somit auch Sinn machen. Ein kompletter 1:1 Ersatz von pneumatischen durch elektrische Ventile in Bestandsanlagen stellt sich jedoch oft als schwierig dar. Beide Antriebstechnologien haben innewohnende Eigenschaften, die sich je nach Einsatz vorteilig auswirken. Die Entscheidung für eine Antriebstechnologie basiert auf der Abwägung aller Aspekte. Aus diesem „Technologiesprung“ resultiert ein gewisses Maß an Umdenken und auch konzeptioneller Neubetrachtung der Anlagen. Für die Neukonzeption neuer Anlagengenerationen sollte diese Thematik jedoch definitiv in Erwägung gezogen werden.


Martin Schifferdecker
Strategischer Produktmanager Motorantriebe

GEMÜ Gebr. Müller Apparatebau