TOP-THEMA
Neubewertung von Schutzmaßnahmen
Erdbebenschutz in Chemieanlagen
Bislang galt: Wenn sich eine Chemieanlage in einer der vier Erdbebenzonen Deutschlands nach DIN 4149 befand, war der Lastfall Erdbeben anzusetzen und bei der Konstruktion zu berücksichtigen. Die Bewertung orientierte sich an der in der Norm vorgegebenen starren Zoneneinteilung.
Inzwischen wurden aber die Gefährdungen auf Basis aktualisierter europaweiter Erkenntnisse neu berechnet und im nationalen Anhang NA:2021 des Erdbeben Eurocodes DIN EN 1998-1 festgelegt. Was ist neu? Die starre Zoneneinteilung entfällt. Stattdessen gibt es jetzt fließende Übergänge zwischen verschiedenen Intensitätsbereichen. Als Folge verschieben sich die ehemaligen Grenzverläufe der Erdbebenzonen, was eine deutliche Erhöhung der für den Erdbebenfall anzusetzenden horizontalen Beschleunigungen und der daraus resultierenden Ersatzlasten bedeuten kann.
Untergrund wird anders bewertet
An manchen Chemie-Standorten kann durch die Einführung des neuen Erdbeben Eurocodes eine Berücksichtigung des Lastfalls Erdbeben erforderlich werden. Neu ist auch die Zuordnung des Bodenparameter S zur Beschreibung des elastischen horizontalen Antwortspektrums in Abhängigkeit des Untergrundverhältnisses und der Höhe der Spektralbeschleunigung. Aus den bislang sechs entstehen 18 mögliche Antwortspektren. In der Praxis bedeutet das: Die Untergrundverhältnisse werden jetzt stärker berücksichtigt und anders bewertet. Und weil die Veränderungen teils beträchtlich sein können, wird die baurechtliche Einführung des neuen Erdbeben Eurocodes, das heißt die Umsetzung in den jeweiligen Landesbauordnungen, mancherorts zu größeren Herausforderungen bei den Erdbebennachweisen führen.
Gegenüberstellung der Grundbeschleunigungen nach DIN 4149 und der Spektralbeschleunigungen sowie der berechneten Grundbeschleunigungen nach DIN EN 1998-1/NA für verschiedene deutsche Chemie-Standorte (Datenquellen und Berechnungen: TÜV SÜD Chemie Service)
Richtig bemessen und konstruieren
Der erdbebensicheren Auslegung einer Chemieanlage liegen bestimmte Bemessungs- und Konstruktionsregeln zugrunde. Der Geltungsbereich dieser Regeln betrifft nicht nur die Tragstrukturen, sondern auch die nichttragenden verfahrenstechnischen Einbauten und Versorgungsbauwerke. Damit gehören auch freistehende Silos und Tanks dazu. Zudem sind bestimmte Komponenten wie beispielsweise Behälter auf Tragpratzen, die im Stahlbau angeordnet sind, für den Lastfall Erdbeben zu bemessen. Entscheidend ist, dass die Anlage das vertikal wirkende Eigengewicht und die variierenden Füllungs- und Betriebslasten sicher in den Untergrund weiterleitet und gleichzeitig für horizontale Lasten wie beispielsweise Wind ausgelegt ist. Erdbeben führen ebenso zu einer horizontalen Bewegung. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ist aber geringer als beim Lastfall Wind. Deshalb wird ein Erdbeben bei einem anzusetzenden semiprobabilistischen Sicherheitskonzept anders bewertet.