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 Und weshalb sie noch nicht funktioniert 

An der Kreislaufwirtschaft führt kein Weg vorbei 

In der Geschichte markiert der zweite August eine ganze Reihe unrühmlicher Ereignisse. In 2023 ist es der Earth Overshoot Day: Der Tag, an dem die Menschheit alle natürliche Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat. 151 Tage vor Jahresende ein wenig schmeichelhaftes Datum – und es kommt noch schlimmer: Würden alle Menschen so leben, wie der durchschnittliche deutsche Bürger, wären wir bereits seit Anfang Mai in den roten Zahlen; nimmt man US-Bürger zum Maß, sogar schon seit dem 13. März. 

Ein wesentlicher Grund dafür ist unsere lineare Wirtschaft: „Nehmen-Herstellen-Entsorgen“ heißt bisher die Logik unseres Handelns: Wir gewinnen Rohstoffe und stellen daraus Produkte her, die am Ende ihrer Nutzung entsorgt werden. Und diese Logik hat angesichts einer steigenden Weltbevölkerung und wachsenden Ansprüchen immer gravierendere Konsequenzen: Sie führt nicht nur in immer größerem Maße zu Engpässen bei Ressourcen, sondern verschärft regionale Ungleichgewichte und schürt globale Verteilungskonflikte.

 

Recycling-Quote sinkt weltweit

70 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen gehen inzwischen auf das Konto der Gewinnung und Verarbeitung von Materialien – Tendenz weiter steigend. Alleine in der EU werden Jahr für Jahr rund 2,5 Milliarden Tonnen zuvor genutzter Materialien als Abfall entsorgt. Und die Recycling-Quote ist erschreckend gering: Lediglich 7,2 Prozent der im Abfall enthaltenen Wertstoffe werden weltweit wiedergewonnen – Tendenz sogar fallend.

Die Beispiele verdeutlichen, weshalb es kein „weiter so“ geben kann und mangels Ressourcen auf Dauer auch nicht geben wird. Aber es gibt Hoffnung: „Kreislaufwirtschaft“ lautet der Ansatz, der seit einigen Jahren nicht nur von Umweltschützern, sondern immer häufiger auch von Industrieunternehmen propagiert wird. Zwei prominente Beispiele liefern der Möbelriese Ikea und der Kunststoffhersteller Covestro: Diese haben sich vorgenommen, ihre Unternehmen vollständig auf die Kreislaufwirtschaft auszurichten. So will Ikea bis 2030 nur noch erneuerbare und recycelte Materialien einsetzen, Covestro plant Kunststoffe und deren Komponenten bis 2035 klimaneutral aus alternativen Rohstoffen und erneuerbarer Energie herzustellen. 

„Kreislaufwirtschaft“ jedoch auf das Recycling und den Einsatz recycelter Materialien zu reduzieren, greift viel zu kurz – es geht um deutlich mehr. Zehn „R-Strategien“ listet der Verband des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus, angefangen bei „Refuse“ – also dem Verzicht auf Materialien – über „Rethink“, der Gestaltung von Produkten mit Blick auf Kreisläufe, bis hin zu „Reuse, Repair und Refurbish“, also der Wiederverwendung und schließlich dem „Recycling“.

 

Fokus auf Recycling und Abfall greift zu kurz

Obwohl die Konzepte längst bekannt und in Teilen auch schon seit zwei Jahrzehnten geübte Praxis sind, muss konstatiert werden, dass die Kreislaufwirtschaft den Durchbruch bislang nicht geschafft hat. Der Grund dafür liegt darin, dass ein zu starker Fokus auf Recycling und Abfallmanagement gelegt wird – das greift auch deshalb zu kurz, weil damit nicht nur ein großer organisatorischer Aufwand und hohe Investitionen verbunden sind, sondern für die Akteure schlichtweg zu wenig wirtschaftliche Anreize entstehen.

Anders sieht die Situation dagegen aus, wenn eine Wachstumsperspektive entsteht – und diese hat inzwischen die Automobilindustrie erkannt: Mit ihrer bereits heute starken Vernetzung zwischen Zulieferern und Kunden ist sie prädestiniert für neue, zirkuläre Geschäftsmodelle, bei denen die Produzenten nicht nur Autos herstellen, sondern diese auch über den ganzen Lebenszyklus begleiten und irgendwann auch betreiben, weil die Kunden nicht mehr das Auto, sondern die Mobilitätsdienstleistung kaufen. „As-a-service“ heißen solche Geschäftsmodelle.

„Die Kreislaufwirtschaft bietet die Möglichkeit, die Rentabilität in der gesamten Wertschöpfungskette um das 1,5-fache zu verbessern und in dieser Zeit pro Fahrzeug das 15 bis 20-fache seines Verkaufswerts einzunehmen“, schätzt die Circular Cars Initiative in einem Bericht für das World Economic Forum. Weil das Bewusstsein der Kunden für nachhaltige Produkte steigt, ein klarer Zukunftsfaktor. Bis 2030 – so die Erwartungen der CCI – lassen sich zudem die CO2-Emissionen mit Hilfe zirkulärer Modelle um 75 Prozent reduzieren und der Ressourcenverbrauch pro gefahrenem Kilometer um 80 Prozent senken. Die EU Kommission schätzt, dass sich durch die existierenden und bereits geplanten Gesetzgebungsvorhaben im Hinblick auf eine Kreislaufwirtschaft Einsparungen in Höhe von 600 Milliarden Euro erzielen lassen und zwei Millionen neue Arbeitsplätze entstehen könnten.

 

Resiliente Lieferketten, mehr Geschäft

Ein für die Hersteller immer wichtigeres Argument für das Schließen von Kreisläufen sind außerdem resiliente Lieferketten: Werden Produkte am Ende Ihres Nutzungszyklus nicht mehr entsorgt, sondern können diese aufgrund ihrer in Richtung Recyclingfähigkeit optimierten Konstruktion wiederverwendet werden, sinkt der Bedarf an neuen Rohstoffen dramatisch und die Materialverfügbarkeit steigt. Wie gravierend solche Probleme sein können, wurde 2021 deutlich, als der Automobilindustrie aufgrund des Chip-Mangels schätzungsweise 210 Milliarden US-Dollar an Umsätzen verloren gegangen waren. 

Doch weil Recyling und die Herstellung hochwertiger Materialien das Know how von spezialisierten Unternehmen erfordern, müssen die Produktions- und Lieferantennetzwerke stark verzahnt werden. Beispiele dafür liefern nicht nur die Herstellung von Kunststoffen, sondern aktuell auch die Produktion und das Recycling von Batterien. Dieses kann der Industrie künftig dabei helfen, galoppierende Nickel- oder Lithiumpreise zu kompensieren.

Fazit: Kreislaufwirtschaft könnte zum Schlüsselfaktor werden: Nachhaltigkeit steigern, die Resilienz der Wirtschaft erhöhen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum fördern. Doch das setzt voraus, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle erweitern – und größer Denken: vor allem über den „Earth Overshoot Day“ hinaus.

Autor


Armin Scheuermann

freier Fachjournalist (Trendbericht zur POWTECH)