MESSTECHNIK
Aus dem Labor in den Prozess
Zeit- und Kostenfaktor Analytik
Klassische Analyseverfahren wie zum Beispiel NIR- oder Gaschromatographie oder HPLC-Laborverfahren erfordern eine Probenahme und eine mehr oder minder aufwendige Analyse der Probe in einer geeigneten Laborumgebung. Schon das Handling der Probe stellt eine mögliche Fehlerquelle dar. Ein üblicherweise geschlossenes System muss zur Probenahme geöffnet werden, was je nach beteiligten Medien hohe Sicherheitsanforderungen mit sich bringen kann, von der konstruktiven Auslegung der Anlage bis zur verhaltensbasierten Sicherheit.
Die Proben müssen mit hohem Aufwand in einer bestimmten Kondition gehalten werden, zum Beispiel in einer flüssigen oder gasförmigen Phase – Temperatur und Druck beispielsweise bei tiefkalten Kohlenwasserstoffverbindungen in einer Probe aufrechtzuhalten, ist nicht banal. Veränderungen beeinflussen die Validität der Messung und machen das Ergebnis im schlechtesten Fall unbrauchbar. Laboranalysen benötigen üblicherweise auch Verbrauchsmaterial, das nicht nur etwas kostet, sondern auch entsorgt werden muss. Kurz gefasst: Mehrstufige Analytik kann sich je nach Anwendungsfall beliebig komplex und kostenintensiv darstellen: Hier gibt es nach wie vor erstaunliche Einsparpotenziale.
Zuverlässige Brennwertermittlung von LNG
Der eigentliche Wert von Brennstoffen wie Flüssigerdgas (LNG) liegt in ihrem Energiegehalt. Das etablierte Verfahren für die Messung der Zusammensetzung von LNG bei einer eichpflichtigen Übergabe ist die Gaschromatographie mit Hilfe von Verdampfer-Systemen. Die European Gas Research Group (GERG) hat in einem mehrjährigen Projekt in einem LNG-Terminal im belgischen Zeebrugge ein Raman-System von Endress+Hauser parallel zu einem bewährten Gaschromatographie-Aufbau betrieben. Das Raman-System bestand aus einer kryogenen Raman-Sonde vom Typ Rxn-41 mit einem angepassten Raman-Messgerät Rxn2. Der Analysator arbeitet mit optimierter Laser-Wellenlängen mit einer breiten spektralen Abdeckung. Das Gerät mit einem Kalibriergas getestet und nach ersten Testläufen mit anwendungsspezifischen Korrektur-Algorithmen modifiziert.
Die Sonde wurde ähnlich wie ein Messgerät fest in die LNG-Leitung integriert, um die Stoffzusammensetzung direkt im flüssigen Medium bei circa –161 Grad Celsius festzustellen. Die Reaktionsgeschwindigkeit und Stabilisierungszeit des Systems bei Medien- beziehungsweise Prozessänderungen wurden als sehr vorteilhaft bewertet, auch kleine Batches konnten so korrekt abgebildet werden. Das System zeigte keine Drift und eine sehr gute Wiederholgenauigkeit. Wartungsfrei im Betrieb erreichte das System eine Verfügbarkeit von über 99 Prozent. Außerdem waren die Ergebnisse unabhängig von Druck, Temperatur und Durchflussrate in der Leitung.
Die Abweichungen der Raman-Ergebnisse für die Zusammensetzung des LNG und die resultierende Berechnung des Brennwerts haben einerseits gezeigt, dass Gaschromatographen eine höhere absolute Genauigkeit bieten können, allerdings mit einem wesentlich höheren Aufwand. Gleichzeitig lag das Raman-System klar innerhalb der Toleranzen, die das maßgebliche GIIGNL Custody Transfer Handbook Version 6.0 vorgibt. Ein weiterer Vorteil: Das System arbeitet prinzipbedingt kontinuierlich und in Echtzeit. Die Technologie hat sich mit den positiven Ergebnissen der Studie für die Aufnahme in internationale Normen bzw. die MID-Zertifizierung qualifiziert.
Noch kaum realisierte Potenziale
Den Sprung aus Wissenschaft und Forschung hat die Raman-Spektroskopie noch nicht ganz geschafft, aber die Entwicklung beschleunigt sich zusehends. Endress+Hauser treibt die Technologie in verschiedenen Branchen voran, oft in Kooperationen und Entwicklungspartnerschaften. Die Raman-Spektroskopie ist ein so universelles Verfahren, dass das Spektrum der möglichen Anwendungen kaum einzuschätzen ist.
Allerdings: Nicht für jeden Anwendungsfall ist die Raman-Spektroskopie die Technik der Wahl. Wo eine Offline-Lösung reicht, um reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen und die jeweils relevanten Normen und Vorschriften zu erfüllen, gibt es ausgesprochen sinnvolle Alternativen. Ihr volles Potenzial kann die Raman-Spektroskopie da ausspielen, wo inline, in Echtzeit und kontinuierlich qualitative und quantitative Daten erhoben werden müssen, die sicherheitsrelevant oder kostenrelevant sind, sei es im Prozessdesign, in der Prozessteuerung oder in der Messtechnik, wie oben am Beispiel LNG beschrieben. PAT und QbD sind Stichworte, die nicht nur in der pharmazeutischen Industrie eine Rolle spielen. Und nicht zuletzt: In anspruchsvollen Anwendungsszenarien kann Raman den Aufwand und die Betriebskosten alternativer Analyseverfahren signifikant unterbieten.