PROZESSAUTOMATISIERUNG & DIGITALISIERUNG




 Digitaler Zwilling hilft Emissionen zu senken 

Virtuelles Abbild in Echtzeit

In den letzten Jahrzehnten haben Unternehmen mit digitalen Technologien ihre Anlagen optimiert, ihre Produktion gesteigert und Kosten gesenkt. Doch in Zeiten der globalen Erwärmung steht ein weiteres Anliegen auf der Agenda: Industrieunternehmen müssen ihre Emissionen reduzieren. Der deutsche Chemiesektor stieß im Jahr 2021 über 120 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Treibhausgase (THG) aus. Damit der drittgrößte Industriezweig Deutschlands bis 2050 treibhausgasneutral werden kann, spielen technologische Lösungen eine wichtige Rolle.

Dank praxiserprobter Industriesoftware können Unternehmen gleichzeitig ihr Geschäft optimieren und dank eines besseren Überblicks über ihre Emissionen auch ihren Energieverbrauch senken. Das Greenhouse Gas Protocol kategorisiert THG-Emissionen dabei in Scope 1, Scope 2 und Scope 3. Scope 1-Emissionen stammen aus Quellen, die direkt von einem Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden. Scope 2 beinhaltet indirekte THG-Emissionen aus eingekaufter Energie, wie Strom oder Fernwärme. Scope 3 umfasst alle indirekten Emissionen, die bei Partnern entlang der Wertschöpfungskette entstehen.

"Eine nachhaltige Industrie zu fördern, ist eines unserer wichtigsten Geschäftsziele. Wir entwickeln kontinuierliche innovative Lösungen vom Digitalen Zwilling bis zum Industrial Metaverse, damit Unternehmen vernetzt und in Echtzeit miteinander arbeiten können. Dank solcher Live-Dateneinblicke können sie effizienter und nachhaltiger arbeiten.“

Awraam Zapounidis, Vice President Central & Eastern Europe bei Aveva

Virtuelles Abbild in Echtzeit

Obwohl das Nachhaltigkeits-Reporting zunächst sehr komplex erscheint, können Unternehmen mit digitalen Technologien ihre Emissionen einfach erfassen und verwalten. Dafür müssen sie die vorhandenen Rohdaten ihrer chemischen Anlagen und Produktionsstätten in kontextualisierte Informationen umwandeln. Das ermöglicht der Digitale Zwilling, ein virtuelles Abbild der realen Anlage. Der Digitale Zwilling führt Echtzeit-Datenquellen, Modelle und Analysen aus dem gesamten Anlagenlebenszyklus in der Cloud zusammen. 

Auch das US-amerikanische Unternehmen Eastman Chemical Company mit Hauptsitz in Kingsport, Tennessee nutzt die Potenziale des Digitalen Zwillings mithilfe der Asset Information Management-Software von Aveva. Das Chemieunternehmen ist ein Hersteller von hochentwickelten Materialien. Eastman Chemical blickt auf eine 100-jährige Geschichte und eine entsprechend umfangreiche Sammlung an Informationen und Daten zurück. Anstatt weiterhin mit zahlreichen alten technischen Dokumenten zu arbeiten, entwickelte das Unternehmen die Plattform SEIGA (Seamless EPCom Integrated Global Access). Dabei handelt es sich um ein cloudbasiertes System, das Daten des gesamten Unternehmens virtuell in einem Digitalen Zwilling zentral zusammenführt. 

Über SEIGA können alle Teams von Eastman Chemical unabhängig von Ort und Zeit auf korrekte, zuverlässige und sichere Daten aus der gesamten Organisation zugreifen. Dadurch gestalten sich sowohl die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen als auch die Übertragung von Daten zwischen Ingenieur:innen und den Anlagenbetreibern leichter. Sie können ihre Projekte anhand des Digitalen Zwillings und seiner Echtzeit-Daten effizienter und reibungsloser umsetzen. Darüber hinaus nutzt Eastman Chemical die kontextualisierten Informationen gezielt, um nachhaltige Technologien zu entwickeln und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. „Wir konzentrieren uns auf innovative und nachhaltige Ergebnisse, die zur Lebensqualität der Menschen beitragen. Im Rahmen unserer digitalen Transformation können wir den Digitalen Zwilling nutzen und unsere Arbeit optimieren”, sagt Jan Shumate, Director Worldwide Engineering and Construction Services & Solutions bei Eastman Chemical.

Exakte Daten für zuverlässigere Anlagen

Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) ermöglicht ein Digitaler Zwilling präzise Vorhersagen. Anhand dieser kontextualisierten Informationen können Unternehmen fundiert darüber entscheiden, wie sie ihre Verfahren und chemischen Anlagen emissionsärmer gestalten können. Verschiedene Modellierungen zeigen auf, in welchen Bereichen Unternehmen Emissionen einsparen können. Von diesem, noch nicht ausgeschöpften, Potenzial lassen sich passende Maßnahmen ableiten – etwa der Wechsel auf einen Strommix aus erneuerbaren Energien beziehungsweise dessen Nutzung entsprechend der Anlagebedingungen.

Der Digitale Zwilling sorgt dafür, dass Produktionsanlagen zuverlässiger und langlebiger laufen. Fällt eine Anlage aus, verbrauchen sowohl das Herunterfahren als auch der Neustart beträchtliche Mengen an Energie. Wenn Chemieunternehmen also ungeplante Ausfälle reduzieren, können sie an dieser Stelle Energie einsparen. KI nutzt die Daten des Digitalen Zwillings und erstellt mit prädiktiver Analytik Frühwarnungen, damit die Teams vor Ort die Anlagen rechtzeitig überprüfen und warten können. In einem weiteren Schritt können Betriebe die Remaining Use of Life Estimation (RULE) ihrer Anlagen sowie derer Komponenten berechnen, um die Vorhersagegenauigkeit der KI zu erhöhen. Das ermöglicht auch einen rechtzeitigen Austausch von Komponenten in energieeffiziente, moderne Alternativen. 

Strategisches Emissionsmanagement 

Die Emissionen außerhalb ihres direkten Verantwortungsbereiches (Scope 3) zu reduzieren, stellt eine Herausforderung für Unternehmen dar. Schließlich ist es bereits innerhalb eines Betriebes schwierig, alle erforderlichen Datenquellen zu identifizieren, zusammenzuführen und mit relevanten Informationen anzureichern. In einem verbundenen Datenökosystem können interne und externe Parteien ihre Information jedoch sicher miteinander teilen, Potenziale aufdecken und Innovationen fördern. Nur dann können Unternehmen auch die Emissionen ihrer gesamten Wertschöpfungskette von Lieferanten über Partner bis zu Kunden überblicken.

Expert:innen können hierbei eine cloud-native Lösung aufbauen und die zusammengeführten Datenströme mit Metadaten anreichern. Diese Form einer vernetzten industriellen Wirtschaft verschafft Unternehmen einen transparenten Blick auf ihre tatsächlich ausgestoßenen THG. Daraus können Chemieunternehmen notwendige Maßnahmen ableiten und beispielsweise Scope 3-Emissionen von externen Partnern über Zertifikate ausgleichen. Gleichzeitig muss die chemische Industrie in weitere Projekte wie die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2, grünen Wasserstoff sowie eine funktionierende Kreislaufwirtschaft investieren. Dabei zahlen sich bereits etablierte Formen einer flexiblen datenbasierten Kollaboration für alle Beteiligten erneut aus.


Mit Schlüsseltechnologien zur Treibhausgasneutralität

Das Verständnis in Wirtschaft und Gesellschaft dafür, dass Verantwortliche bessere Entscheidungen auf der Grundlage von Daten treffen können, wächst zunehmend. Schlüsseltechnologien wie der Digitale Zwilling bieten der chemischen Industrie eine Chance, ihre vielfältig vorhandenen Informationen sinnvoll zu bündeln und einzusetzen. Wenn Chemieunternehmen ihre komplexen eigenen Strukturen und ihre Wertschöpfungskette transparent abbilden, können sie mit geringem Zeit- und Kostenaufwand wirkungsvolle Änderungen anstoßen. Dann haben sie bereits einen wichtigen Schritt in Richtung des Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2050 getan.